Auszüge aus:
Wunder dieser Welt
Das Tagebuch des Phil Anthrop
25. Flonz 547 n.TE (nach der thermischen Erniedrigung)
Die Vorbereitungen sind so gut wie abgeschlossen - das Luftschiff beladen und startklar. Die letzten 3 Tage vor Beginn der Expedition gönne ich meiner Mannschaft zur Regeneration. Die Reise wird beschwerlich werden, doch meine Leute sind sich dessen bewusst - dafür wurden sie angeheuert. Ein wilder Haufen, zusammengestellt aus Abenteurern, Ruhmjägern, Mittel- und Existenzlosen. Bessere waren nicht zu finden - scheint mein Vorhanden doch zu waghalsig, zu riskant zu sein. "Das Selbstmordkommando ins schwarze Loch"- so wird es in den Zeitungen betitelt. Von der Presse hatte ich mehr erwartet. Waren sie es doch, die mich noch vor 3 Jahren als "König der Entdecker" in allen Gazetten feierten. "Der Fund des Jahrhunderts" hieß es damals, als ich den legendären Schatz der Highland Wikinger in unsere geliebte Hauptstadt Soleross brachte und der Öffentlichkeit präsentierte. Doch der Ruhm verging schnell. Vom "König der Entdecker" zum eigenwilligen Toten-Fährmann des schwarzen Lochs in wenigen Jahren. "Das schwarze Loch"- das blinde Auge unseres großartigen Kontinents Terradimiti. Ich bezeichne es lieber als Schandfleck jeder ach so tollen Landkarte der Eliten. Ist es doch eine stetige Erinnerung der Selbstüberschätzung eines jeden dieser selbsternannten "Entdecker". In all den Jahrhunderten hat es niemand von Ihnen geschafft, diesen unwirklichen Teil unseres Landes in die Realität zu erheben. Versucht haben es viele, doch niemand kam zurück. Ein Ort ohne Rückkehr, sagenumwoben und Heimat der Mythen und Geheimnisse. Der Grund warum es seit Jahrzehnten niemand mehr gewagt hat, auch nur einen Fuß in die Nähe dieser unentdeckten Wildnis zu setzen. Doch das wird mich nicht aufhalten - abhalten schon gar nicht. Ich werde fortschreiten und es allen beweisen. Ich werde Licht in das Dunkel bringen. Das blinde Auge wird zum sehenden, zum allwissenden. Und der König der Entdecker wird zurückkehren - noch größer, noch ruhmreicher als sie es sich in ihren kühnsten Träumen vorstellen könnten.
21. Artiet 547 n.TE
Tag 53 der Expedition. Die Mannschaft ist zusehends verunsichert. War sie am Anfang noch voller Abenteuerlust und Tatendrang, hat sich der Ausdruck in ihren Gesichtern nun verdunkelt. Verdunkelt wie der Himmel über uns. Dabei waren die ersten Wochen der Reise vielversprechend, die Fortschritte groß. Bereits nach 10 Tagen konnten wir die Grenzen unseres Heimatlandes hinter uns lassen. Wir überquerten das große Binnenmeer der Stille, passierten das Paletrienische Gebirge und erreichten die Gondalonische Steppe. Vor 2 Tagen traten wir nun in das große Unbekannte ein. Ein Meer aus Grün entfaltete sich unter uns. Ein Wald, so dicht, dass bisher kein Flecken Boden zu erkennen war. Unmöglich für uns, mit dem großen Luftschiff auch nur an eine Landung zu denken. Und selbst wenn, dass Wetter würde es gar nicht zulassen. Mit Eintritt in das blinde Auge der Welt schlug das Wette rum. Starke Winde, die das Manövrieren erschweren. Wir können uns nur noch der Macht der Gewalten hingeben und hoffen, dass sie uns milde gestimmt sind. Der Ort ohne Rückkehr scheint seinem Namen alle Ehre zu machen. Der Wind treibt uns immer weiter rein in die unbekannte Welt. Und je weiter wir vordringen, desto mehr verdüstert sich der Himmel über uns. Eine undurchdringliche Wolkendecke die sich langsam von blass blau über aschgrau zu schwarz verwandelt. Es bewahrheitet sich immer mehr – das schwarze Loch zieht uns in seinen Bann. Und wäre dies nicht schon genug, liegt seit einigen Stunden ein gewaltiger Schatten über den Wolken. Zuerst taten wir es als dichtes Wolkenband ab, doch mussten wir dies schnell revidieren. Zu groß, zu dicht und zu eindeutig in seinen Konturen, als dass es sich um ein Wetterphänomen handeln würde. Viel schlimmer jedoch – der Schatten verfolgt uns, wie ein Jäger seine Beute. Jeglicher Versuch ihn abzuschütteln schlug fehl, kein Manöver konnte uns von diesem stummen Begleiter befreien. Die Mannschaft weiß nicht mehr weiter, wartet nur darauf, dass sich der Schatten zu erkennen gibt und uns verschlingt. Sie drängt mich zum landen, doch das wäre das Ende – würden wir doch nur ertrinken im grünen Waldmeer. Ich bleibe Standhaft. Soll uns der Schatten weiter verfolgen – die Expedition muss weiter fortschreiten.
27. Artiet 547 n.TE
Das ist das Ende. Ich habe versagt. Ich bin allein, sie sind alle fort, vermutlich tot – und es ist meine Schuld. Der Schatten, er hat uns in unser Verderben geschickt. Hätte ich doch nur auf sie gehört, wir hätten noch eine Chance gehabt. Doch der Schatten kam uns zuvor, brach durch den Schutz der Wolken und zeigte sein wahres Gesicht. Ein Ungetüm, ein Monster der Lüfte – größer als der Palast von Soleross. Mit seinen riesigen Schwingen konnte er Stürme auslösen. Unser Luftschiff wurde zum Spielball seines Willens. Der schiere Anblick dieses gigantischen Flugwesens reichte aus, um das Rückgrat meiner Mannschaft zu brechen. Einer nach dem anderen sprangen sie von Bord, suchten lieber den schnellen Tod im grünen Meer als sich dem Teufel des Himmels hinzugeben. Einzig ich allein blieb an Deck, versuchte verzweifelt unser Luftschiff zu retten. Doch gegen die gewaltigen Kräfte dieses Ungeheuers waren alle Mühen vergebens. Dauerte der Kampf in meiner Vorstellung Äonen, waren es doch nur Minuten, Sekunden. Ungebremst stieß das Luftschiff in das grüne Waldmeer, verstümmelte sich am unendlichen Geäst der Bäume und zerbarst in hunderte Teile, als es den Boden erreichte. Nichts anderes erwartete ich für meinen Körper, doch hatte das Schicksal andere Pläne. Das dichte Laubwerk bremste meinen Fall, umschlang mich wie ein Kokon und hielt mich sicher in seinen Armen. Als ich wieder zur mir kam, fand ich mich auf einer übergroßen Blüte wieder, viele Meter über dem Grund. Vorsichtig kletterte ich an der kolossalen Blume herab und erreichte den weichen Erdboden. Vor mir tat sich ein Ozean aus grotesk großen Blumen, Bäumen und Pflanzen auf. Der Eindruck von oben, dem Meer aus Wald, in dem man zu ertrinken droht, schien sich zu bewahrheiten. Tagelang irrte ich durch diese unwirkliche Landschaft auf der Suche nach Überlebenden. Doch ich war allein. Keine Menschenseele lies sich in dem Dickicht aus Millionen grünen Schattierungen ausmachen. Einzig ein dumpfes Knarzen war in der Stille auszumachen. Ein gewaltiges wiederholendes Stampfen, was langsam aber stetig fortschritt und in meiner Wahrnehmung näher kam.
Cielogter - Hüter der Lüfte
30. Artiet 547 n.TE
Sollte das Ende doch erst der Anfang sein? Seit weniger als 10 Tagen hält mich das blinde Auge Terradimitis nun in seinem Bann. Doch das vermeintlich blinde Auge entpuppt sich als Einäugiger unter den Blinden. Waren wir es doch, die Jahrhunderte lang blind auf unserem Kontinent vor uns hin schwadronierten und uns für die Krönung der Schöpfung hielten. Keine 10 Tage haben ausgereicht und mein Weltbild wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Das schwarze Loch gleicht eher einem Tempel aus Licht. Hier, in diesem Meer aus Wald, diesem unendlichen grünen Ozean, ist eine Zivilisation beheimatet, die unser Denken und Wissen über die Welt in allen Belangen in Frage stellt. Eine Zivilisation, so fortschrittlich, dass ihre Weisheit mir alles Bekannte übersteigt. Nicht wir sind hier die Entdecker – sie haben uns entdeckt, mich. Sie nennen sich Midegard – die Freunde der Hüter. Die Hüter sind mythische Wesen, die Erschaffer der Welt. Riesige Kreaturen, die durch das Land reisen und es beschützen. Die Hüter waren es auch, die sie zu mir geführt haben. Das große Flugwesen, was uns vom Himmel holte, sie nennen es Cielogter – der Hüter der Lüfte. Unser ihm unbekanntes Luftschiff muss wie eine Bedrohung für das Land und die vielen Leben, welche er zu beschützen versucht, gewirkt haben. Die Midegard vernahmen unseren Kampf aus der Ferne, erkannten jedoch, das wir keine Bedrohung waren. Sie baten Garforet, den Hüter des Waldes, um Hilfe. Er war es schließlich, der die Midegard zu mir führte. Das gewaltige Knarzen und Stampfen gehörte zu Garforet, der sich seinen Weg durch den Wald bahnte. Ein wunderliches Wesen mit zwei Köpfen, halb Tier – halb Pflanze. Und von einer Größe, die dem Berg von Lucluna gleich kommt. Die Midegard brachten mich in ihre Stadt und versorgten meine Wunden, gaben mir zu Essen, sodass ich wieder zu Kräften kam. Nun bin ich bei ihnen, als Teil ihrer Gemeinschaft und darf die unglaublichsten Dinge erlernen. Wer weiß, welche uralten Geheimnisse mich hier nocherwarten.
Garforet - Hüter des Waldes
14. Milra 547 n.TE
Meine Forschungen machen ungeahnte Fortschritte. Die Midegard erlaubten mit den Zutritt zu ihrem allerhöchstem Heiligtum – dem Tempel der Acht. Ein Bauwerk, so alt wie die Zeit selbst. Geweiht den acht Hütern und als transzendente Kultstätte der zentrale Mittelpunkt ihrer Zivilisation. Die Fresken, Bilder und Texte an den Wänden erzählen von der Erschaffung der Welt. Die acht Hüter, geboren durch ihren eigenen Willen, stiegen empor und schufen die Erde und alles Leben, was sich auf ihr befindet. Nachdem ihr Werk getan war, kehrten sie zu ihrer Geburtsstätte zurück und ließen sich dort nieder. Bis heute schützen sie diesen Ort und alles Leben welches ihn umgibt. Die Midegard stammen wohl aus diesem Anbeginn der Zeit. Ihre Sprache und Schrift ist der unseren in vielem ähnlich. Nicht nur das, sie beinhaltet Elemente aller Sprachen Terradimitis. Sie ist in ihren Grundformen so universell, es muss sich hierbei um die ursprüngliche Sprache der Menschheit handelt. Sie ist mit diesem Ort verwurzelt, genauso wie ihre Kultur. Ich bin davon überzeugt, dass dieses Land die Quelle alles Lebens ist. Die Midegard müssen unsere Vorfahren sein, ganz Terradimitis stammt womöglich von dieser vergessenen und doch so fortschrittlichen Zivilisation ab. Und über allem thronen die Hüter – die acht Gottheiten dieser Welt. Wenn ich sie nicht mit eigenen Augen gesehen hätte – ich würde es nicht für möglich halten. Vor 2 Tagen, während meiner Studien im Tempel der Acht, traf ich auf den dritten Hüter. Ich spürte seine Anwesenheit bereits nach kurzer Zeit, seine Aura war allgegenwärtig. Ich schaute aus den Erkern des Tempels und erblickte ihn, anmutig und filigran schlängelte er sich zwischen den Baumwipfeln hindurch und schwebte über dem spiegelndem Wasser. Es war Varuzera – der Hüter des Sees. Seine tiefblauen Schuppen und kristallenen Fühler schimmerten im warmen Licht der untergehenden Sonne. Er umkreiste den Tempel mit festem Blick, fast schon, als würde er nach mir suchen, sicher gehen, dass alles in Ordnung ist. Noch ein paar Mal bahnte er sich seinen Weg am Tempel vorbei durch das tiefliegende Laub der Bäume, bevor er wieder empor zog und in der Abenddämmerung verschwand – so schnell und unvermittelt, wie er gekommen war. Was blieb waren die letzten Schwingungen seiner Präsenz, die mich ehrfürchtig zurückließen. An ein Weiterführen meiner Studien war an diesem Abend nicht mehr zu denken. Und dort, im kühlen Schein des aufgehenden Halbmondes kam mir die Erkenntnis. Ohne die Geheimnisse der acht Hüter zu ergründen, wäre jeder Fortschritt meiner Forschung sinnlos. Ich werde daher all meine Kräfte dazu nutzen, auch die übrigen Hüter ausfindig zu machen.
Varuzera - Hüter des Sees
27. Milra 547 n.TE
Ich hätte nie zu hoffen gewagt, dass die Suche nach dem vierten Hüter solch unerwartete Wendungen des Schicksals zur Folge hätte. Nach dem unverhofften Aufeinandertreffen mit Varuzera und meinem dadurch gefällten Entschluss, alle Hüter dieses heiligen Landes zu erforschen, bat ich die Midegard um Mithilfe. Wer, wenn nicht sie, könnten mir bei meiner Suche nach den restlichen Hütern sonst weiterhelfen. Mein Anliegen wurde dem Hohen Rat der Midegard vorgetragen und man gewährte mir schließlich weiteres Wissen über die Hüter. Demzufolge waren die Midegard nicht das einzige Volk, welches im Reich der Hüter beheimatet war. Jenseits des Waldes, im Tal der Terrakotta Terrassen lebten die Omabbia. Ein umherziehendes Nomadenvolk, welche in der kargen Steppenlandschaft von Oase zu Oase wandert und ihre Gottheit Custovida, den Hüter des Lebens, verehrt. Die Völker der Omabbia und der Midegard waren seit Jahrhunderten eng verbündet und unterhielten ständige Handelsrouten zwischen ihren Zentren. Ohne groß darüber nachzudenken schloss ich mich einer Delegation der Midegard an und machte mich auf den Weg ins Tal der Terrakotta Terrassen. Bereits nach 7 Tagen erreichten wir die ersten Siedlungen der Omabbia. Die großen Spitzzelte waren bereits weit entfernt am Horizont zuerkennen und gaben ihre üppige Farbenpracht Stück für Stück preis, je näher wir kamen. Das Zeltdorf lag verschlafen zwischen den sich auftürmenden Terrakotta Terrassen, die mit Ihren Wasserspielen nicht geizten. Als man unsere Ankunft vernahm wurde es jedoch wuselig im Dorf. Das stille, wartende Gemüt wich einem geselligen Treiben und beschäftigtem Trubel. Diese Atmosphäre verdichtete sich nochmals, als man meine Anwesenheit vernahm und erkannte, dass ich kein Midegard war. Ohne reagieren zu können nahmen mich die Kinder des Dorfes an den Händen und brachten mich zum zentralen Prachtzelt der Siedlung. Was mich da erblickte, ließ meinen Verstand für einen kurzen Moment aussetzen, sodass ich nur regungslos dastehen konnte. Meine gesamte Mannschaft saß lachend und wild gestikulierend am Lagerfeuer, aß und trank von den großen Vorräten um sie herum. Als man mich erblickte, sprangen sie auf und kamen tanzend und mit kindlicher Freunde auf mich zu. So saßen wir den restlichen Abend zusammen und erzählten, wie es uns seit dem fatalen Absturz unseres Luftschiffs ergangen war. Anscheinend hatte nicht nur die Midegard unseren Luftkampf mit Cielogter verfolgt. Auch die Omabbia hatten den Vorfall vernommen und sich, mit Hilfe Ihres Hüters Custovida, auf den Weg gemacht, nach Überlebenden zu suchen. So wie auch ich, hatte meine Mannschaft den Sturz vom Luftschiff überlebt und wurden von den Omabbia in Ihre Siedlung gebracht. Meine Männer erzählten mir von Ihrer Begegnung mit Custovida, einem riesigen, Elefanten gleichem Wesen, welches die Heimat der Omabbia mit seiner niemals versiegenden, lebensspendendem Wasserquelle zu einem Ort der Wiederkehr mache. Ich erzählte von meinen Begegnungen mit den anderen Hütern und zusammen beschlossen wir, uns auf bald auf den Weg zu Custovida zu machen, um gemeinsam den Fortschritt unserer Expedition voranzutreiben. Ein Vorhaben, dass uns noch lange an diesen geheimnisvollen Ort binden würde.
Custovida - Hüter des Lebens
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Das Tagebuch des Phil Anthrop